Ergriffene Stille mündet in tosenden Applaus

Wildberg – In der Martinskirche Wildberg trafen sich das Jugendsinfonieorchester plus Kammerorchester Altensteig mit den Chören des Maria-von-Linden-Gymnasiums (MvLG) Calw zu einem bedeutenden Musikereignis, welches traurigerweise perfekt die Aktualität widerspiegelt, aber am Ende auch Hoffnung sendet. „The Armed Man – Eine Messe für den Frieden“ war das Thema. Das Publikum antwortete mit Standing Ovations für die mehr als 250 Musizierenden.

„Universelle Botschaft für den Frieden“
In seinen Begrüßungsworten freute sich MvLG-Chef Matthias Heidenreich über die gelungene, mittlerweile langjährige Kooperation zwischen Altensteig und Calw. Zum wiederholten Mal wurde heuer die musikalische Freundschaft zwischen den Altensteiger Instrumentalisten und den Calwer Singenden mit einem musikalischen Feuerwerk besiegelt. Streicher, Bläser, Percussionisten und der gewaltige Chor, eine gemischte Form von Schülern, ehemaligen Schülern und Lehrern, bauten sich Schulter an Schulter in der Kirchenfront auf. Man darf vermuten, so viele Menschen auf geringstem Raum musizierten noch nie in dieser Kirche. Heidenreich dankte dem Gastgeber, der Kirchengemeinde, und kündigte das Konzert als „universelle Botschaft für den Frieden“ an.

Ein besonderer Takt
Das Jugendsinfonieorchester, Produkt einer erfolgreichen Kooperation zwischen der Musikschule und dem Christophorus-Gymnasiums Altensteig, beteiligte sich mit seinen jungen Schülern unter der Anleitung derer Lehrkräfte. Danuta Platschko (Violoncello), David Bern (Geige/Bratsche), Wolfgang Mücke (Bläser), Steffen Kuhn (Percussion) sowie Jutta Hay (Lehrerin am Christophorus Gymnasium) führten die Musikusse über mehrmonatige Probenarbeit zum Ziel. Weitere Verstärkung erhielten sie durch exzellente Könner des Kammerorchesters. Für Wolfgang Mücke immer wieder Grund zu schwärmen „über diesen besonderen Glücksfall für Altensteig, wo Musikschule, Kammerorchester und Christophorus-Gymnasium sich ergänzen und harmonieren“. So entstehe etwas Besonderes. Mit ihrem „Madre, tu dulce nombre“ spielten die jungen Sinfoniker einen besonderen Takt – genau in der Schrittfrequenz, in der beim andalusischen Karfreitagsumzug eine tonnenschwere Jesus-Figur durch die Straßen getragen wird.

„Ein unvergessliches Erlebnis“
„Better is peace – Frieden ist besser“. Welch eine Aussage im Schlusslied des Konzerts. Eine Erkenntnis und ein Wunsch, so alt wie die Menschheit selbst und dennoch, oder gerade deswegen, brandaktuell. Grandios die allerletzten Akkorde zur finalen Textzeile „Praise the Lord“. Harmonien, die sich markant direkt in die Herzen der Zuhörenden ergossen. Nach dem Verhallen des Schlusstons herrschte für wenige Augenblicke Stille der Ergriffenheit. Die brach das Publikum aber rasch und füllte das Gotteshaus mit tosendem Applaus. Eine Zuhörerin sprach das Urteil: „Ein unvergessliches Erlebnis war das.“.

Der zeitgenössische Komponist Karl Jenkins hatte dieses Werk für einen anderen Anlass geschrieben, nämlich zur Zeit des Kosovo-Krieges. Doch da Krieg überall die gleiche hässliche Fratze zeigt, darf Jenkins’ Komposition mittlerweile als zeitlos und nicht an Orte gebunden gelten. So sind es nun doch schon mehr als 2700 Aufführungen dieser Friedensmesse, die weltweit gespielt wurden. Wildberg mit seiner wunderschönen Martinskirche darf sich nun als weiterer Ort der Jenkins’schen Mission zählen.

Archaische Trommelrhythmen
Unter dem leidenschaftlichen Dirigat von Stefanie Strobel ließ der gut 200-köpfige Chor „die imaginär kämpfenden Männer mit einem Marsch in den Krieg ziehen“. Diesem „L’homme armé“ folgte eine Schweigeminute, gerichtet an alle Religionen, sich für den Frieden einzusetzen. Um dann für diesen Frieden im „Kyrie“ den „Herrn um Erbarmung“ zu bitten. Im Stil eines gregorianischen Gesangs zitierten Bässe und Tenöre aus einer Bibelstelle „Gott sei mir gnädig, denn der Mensch droht mich zu vernichten“. Archaisch hypnotisierende Trommelrhythmen ließen im „Sanctus“ weiteres, drohendes Unheil erahnen. In der „Hymne vor dem Kampf“ steigerte sich die Bedrohung so vehement, dass am Ende nur die verzweifelte Bitte blieb, „dass Gott uns die Kraft zum Sterben geben soll“. Der Krieg war nun beschlossene Sache. Es wurde zum Angriff geblasen. Ein ums andere mal stach bei den Bläsern in beeindruckender Weise Marbold Hans an der 1. Trompete mit seinen beängstigenden Fanfarenstößen heraus – „Charge!“.

Gefühle von Verlust und Schuld
Kann es noch schlimmer kommen? Jenkins vertonte in „Angry Flames“ im Zentrum der Messe die eindrücklichen Zeilen eines Hiroshima-Opfers. Der Moment der drei Solisten Emilia Strauss (Sopran), Laura Incannova (Alt) sowie Hannes Schoss (Bass) und Marcel Schweizer. Das Stück „Torches“ ließ wissen, dass solch grausame Bilder nicht nur in der neueren Geschichte zu sehen sind: „Sie taten ihren letzten Atemzug als lebendige Fackeln“. Während das „Agnus Dei“ aus der christlichen Liturgie auf den Opfertod Christi bezieht und um Frieden bittet, thematisieren die Worte „Nun schweigen die Waffen“ die Gefühle von Verlust und Schuld eines Überlebenden.

Frohlockender Chor
Einer Erlösung gleich erlebten die Wildberger Besucher die langsamen und bedächtigen Klänge des „Benedictus“. Der besondere Hörgenuss des Violinisten-Duetts David Bern und Theresa Bauchrowitz wurde mit dem Frohlocken des Chores „Hosianna in der Höhe“ feierlich gekrönt.

Weiter geht’s nach Toul
Angesichts des Entstehens des Krieges, der Schrecklichkeit desselben während seiner Dauer und diesem versöhnlichen Ende setzte Jenkins mit der Botschaft „Better is peace“ den finalen Höhepunkt. Die Melodie des zum Konzertbeginn sich martialisch steigernden, französchen Kampfliedes wurde nun in Dur und eher tänzerisch erneut aufgegriffen. Tosend wild steigerte sich die Musik zu den Glocken, die in vielen Variationen aufforderten, nun endlich die tausend Jahre Krieg zu beschließen und tausend Jahre Frieden einzuläuten. Wissend um die Geschehnisse in der Ukraine endete das Konzert mit jenem Gänsehautmoment für Zuhörende und Singende zugleich: Die a capella gesungene Prophezeiung, „dass eines Tages dieser Friede tatsächlich kommen wird“. Better is Peace – Frieden ist besser.

Der gewaltige Musikertross wird am Samstag nach Frankreich reisen, um in der Kathedrale zu Toul (Lothringen) die Friedensbotschaft zu überbringen.

(Artikel aus dem Schwarzwälder Bote Roland Stöß 24.05.2022 – 16:02 Uhr)